»Die anderen sahen bloß eine Menge Striche, wo ich deutlich eine zusammenhängende Zeichnung sah«

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Solvej Helweg Ovesen

»Die anderen sahen bloß eine Menge Striche, wo ich
deutlich eine zusammenhängende Zeichnung sah«

Das sagt Mette Winckelmann über ihre erste Erfahrung darüber, dass ihr Drang, Dinge zu zerlegen, eigentlich ihre kreative Waffe war. Sie ist eine Künstlerin, für die geometrische Einteilungen eines jedweden »Territoriums« – Leinwand, Textilstücke oder Oberflächen generell – der Aneignung eines eigenen Raumes gleichen. »Auf diese Weise an die Leinwand zu gehen, ist eine Art, sie einzunehmen. Für die meisten meiner Werke, Projekte und Ausstellungen gilt, dass ich mich dem Material – der Leinwand, dem Raum, der Grundfläche – nähere, indem ich es einteile. Eine Leinwand vermesse ich zum Beispiel und unterteile das Format genau in Hälften, Drittel und Viertel, die ich mit Strichen markiere und während der weiteren Arbeit verwende. Die Einteilungen sind eine Weise, die Oberfläche zu organisieren, aber auch ein grundlegendes Skelett, von dem ich glaube, dass es eigentlich schon vorhanden ist, und das ich lediglich hervorhebe. Für mich hängt es eng mit der Struktur des Körpers
zusammen, von dem wir Menschen abhängig sind und der uns gleichzeitig
Spielraum gibt und uns begrenzt.«
Wie kann man den Genuss begreifen, der darin liegt, ein Muster zu erschaffen? Wenn man sich die stille Freude oder Erleichterung vorstellt, die in der Erfüllung des eigenen Willens, im Gewinnen eines Zweikampfs mit sich selbst oder eines Kampfes gegen eine von anderen auferlegte und gedeutete Lebensweise liegt – kann man dann dieses Gefühl mit der Freude am Einteilen und Verfügen über eine Leinwand vergleichen? »Die Einteilung oder das Gittermuster als erster Arbeitsschritt in einem Werk ist ein Glied im Prozess der Auflockerung von etwas Statischem«, berichtet Winckelmann. »Ein Gefühl von Klarheit und Logik zeigt sich, wenn ich es tue – als wäre es das einzige Richtige. Ich glaube auch, dass es auf mentaler, geistiger Ebene für mich stimulierend ist – aber auch für andere – es über die Augen aufzunehmen. Nicht als eine belehrende oder erzählende spezifische Pointe, sondern eher als eine Form der Stimulation oder mentalen Massage.«
Vielleicht liegt diese Massage in der Sinnesverwirrung, dem Moment der Nicht-Fokussierung, das entsteht, wenn man ein Bild wie The Four Parts, 2013, betrachtet? Das Gemälde ist in ein grundlegendes, handgezeichnetes Gitter aufgeteilt, das über die ganze Fläche verteilt ist. Das für Externe leicht undurchschaubare Element in diesem Bild ist das Zusammenspiel zwischen den geraden und stringent strukturierten Linien und den organischen freilaufenden varierenden Linien. Es ist, als gäbe das Auge die Kontrolle über Muster und Material auf und müsste sich auf deren unergründliche, ja widerspenstige Verläufe und Ebenen einlassen. Oder man folgt den verwickelten Bewegungen im vertikalen The Turn of the Screw, 2013, und lässt sich von der koloristischen Entwicklung von Rostfarben hin zu den luftigen Pastelltönen überraschen.
Gleichzeitig ist eine gewisse Transparenz in der materiellen Realität der Werke doch wichtig, denn »[…] die Schichten erscheinen offen, und je kürzer der Abstand zum Werk ist, desto einfacher lässt sich jede einzelne Lage decodieren und damit auch der ganze Entstehungsprozesse des Werkes.«
Das Gitternetz und der Zuschnitt der Teilformen sind auch zentrale Elemente in einem skulpturalen Werk wie Used in Denmark, 2012, welches als dreieckige Plattform aus farbigem Klinker gestaltet ist, der von innen erwärmt wird, und auf dem man sitzen kann. Das Raster ist wie in den anderen Werken vorhanden, aber es verläuft »um die Form herum oder in sie hinein, als könnte man sie wie eine Torte schneiden«, verrät die Künstlerin über das Werk, und »es gibt noch andere Unterteilungen, die sich mit dem Grundmuster vereinigen, aber immer auch einige, die im sich auf das Format oder den Körper beziehen, aus dem das Werk hervorgeht.«
Aber das Raster ist etwas, das kommt und geht. In dem neuen Werk The Shape of Things to Come, 2013, das sich auf Abstand betrachtet einer weißen Monochrommalerei annähert, wird die Einteilung erst aus der unmittelbaren Nähe sichtbar.
Hier beziehen sich die ausgeschnittenen Felder aus Textil auf die mit Bleistift markierten Ziele im Bild. Das Netzwerk kann immer verschoben werden und hier sind die Einzelteile in ein prozessuales System eingebettet, dass ich auf die Ecken bezieht und in Bezug auf das Format rotiert. Das gleiche gilt für Fall, 2013, das mit Bleistift, Acrylfarbe und Gesso auf Leinwand geschaffen wurde, und das in einer Meditation über Grau- und Pastelltöne hervortritt und einen ephemeren, beruhigenden Raum eröffnet, in dem Winkel und Kanten durch weiche Textilkanten und drei große integrierte Kreise zurückgedrängt werden. Winckelmanns Werke sind immer unvollendet – stets können noch weitere Lagen hinzukommen oder entfernt worden sein, bevor das Werk präsentiert wird, was einer der raffinierten Kunstgriffe hinter The Shape of Things to Come und Fall ist. Die Kombination von Malerei und Kollage, wie sie hier zu sehen ist, ist eine neuere Entwicklung im Oeuvre der Künstlerin. Das ästhetisch anziehende Bild Lucky Pieces, 2013, ist ebenfalls in diesem neuen Malerei-Kollage-Stil gehalten, jedoch stärker räumlich ausgerichtet. Hier überlagern mehrere Prinzipien und Muster-Logiken in unterschiedlicher Skalierung einander, sodass ein Harlekin-Muster aus dunkelblauem Stoff und hellgrauer Farbe eine netzartige Malerei überlagert und einrahmt und langsam trotz der beherrschenden zentralen ovalen Form eine magische Vibration zwischen verschiedenen Räumen und Logiken entsteht. »Die eigentliche Handlung, eine Fläche zu unterteilen, bedeutet für mich, die Möglichkeit zu haben, zu tauschen und zu verändern, wie um das Werk zu öffnen, es als ein Potential mit vielen Möglichkeiten zu sehen. Es ist, als ob man sein eigenes und das Material anderer als eine flexible Größe über Zeit und Raum sieht.« Sie hat diese »Auflösung« von statischen oder monumentalen Formen zu einer wiederkehrenden Praxis gemacht, indem sie unter anderem auch eine Art Doppelwerke gestaltet hat, die die Idee eines einzigartigen Meisterwerkes erodieren. Seit über einem Jahrzehnt fertigt Winckelmann Kollagen, die von Malereien kopiert werden, oder umgekehrt. Das Set Let´s Talk About Sex, 2009, das eine Kollage ist, und die Malerei Push It, 2009, ist eine Spiegelung der beiden Werke, aber beide sind trotz allem sehr unterschiedlich in Material und Ausführung, was genau der springende Punkt ist, denn wenn sie in der gleichen Ausstellung hängen, vergeht eine geraume Zeit, bevor man die Verdopplung bemerkt. Es handelt sich nicht um eindeutige Kopien. Die Titel sind keine Gegensätze und nicht gleich, aber deutlich in Spannung zu einander gesetzt.
Winckelmann selber meint, die Wurzel ihrer strengen Obsession – die schon jahrelang dauernde, leicht perfide, masochistische Einteilung von Oberflächen meist in eine Art Quadrate, Dreiecke und Kreise – liege in ihrem tiefverwurzelten Drang, die Dinge zu zerlegen. Das bedeutet, in dem Drang, beispielsweise ein Hemd aus seiner Form zu befreien, sein Material zu etwas zurück zu bringen, das vielleicht an seine vorherige Form oder etwas Drittes erinnert, wie in What´s Left of a Man´s Shirt?, 2008, wo alle Teile eines Männerhemdes abstrakt ausgeschnitten sind – aus einem blauen Stück Stoff, das dann den Hintergrund des Bildes bildet. Körper und Maschine reden gleichzeitig und werden in einen neuen Zusammenhang integriert. Dinge werden von sich selbst befreit. Selbst das Werk als Original wird von der hierarchischen Position befreit – denkt man angesichts der Doppelwerke – und wird als durchschaubare, berührbare, malerische Oberfläche präsentiert, die zeitweilig in Wahrheit gierig den Raum rundum einnimmt. »Wenn sich das Bild öffnet, breitet es sich im Raum über den eigenen Rahmen hinaus aus«, erklärt Winckelmann. Die künstlerische Handlung besteht für sie darin, Räume – Leinwände, Oberflächen, Stoffstücke – einzuteilen und sie wieder zusammen zu setzen, neue Lagen zu schaffen. Selten beendet sie bewusst ein Werk, geschweige denn ein Muster, an der Kante des Rahmens oder beizeiten, sondern lässt es aussehen, als könnte es sich fortsetzen. Hiervon bekommen wir diesmal nur einen kleinen Eindruck, wie in Carpet of Every Moment, 2011. Ein Werk, dessen Achsenschnittpunkte außerhalb des Bildes liegen und dessen sinnreiches Muster komplett undurchschaubar anmutet. Was, wenn Kunstwerke es täten – sich einfach ins Unendliche fortsetzten – welch optischer Schwindel! Mehrere der Gemälde und Objekte, die Winckelmann in die Welt setzt, haben eine spirituelle, vielleicht befreiende visuelle und emotionale Wirkung. In jedem Fall deuten sie einen unendlichen nicht hierarchischen Raum, eine Freistatt, an. Crosses and Losses, 2012, ist ein Werk, das den Titel von einem Patchwork-Block geerbt hat und aus Hemden-Proben in Pastellfarben besteht, die in einem einfachen Muster angeordnet sind, aber wie aufgewühlt durch einen äußeren Einfluss, Hand oder Ordnung, dessen beinahe ephemere Spur (Andeutung schwarzer Striche) nur Andeutungen eines Gewebes, eines Netzes sind, das weit über die Fläche des Werkes hinausreicht.
Was bedeutet ein Rechteck im Verhältnis zu einem Kreis? Wenn Dreiecke, Vierecke und Kreise in sich selbst eine Bedeutung haben, aber eine größere Aussage erlangen, wenn sie im Kontext eines Patchworks, eines Musters oder eines Gemäldes gesehen oder verstanden werden, worin besteht dann die Intimität zwischen den Teilen und was bedeutet sie für die Ganzheit? »Ich habe immer ein normales Verhältnis zur Mathematik und zu Systemen gehabt. Sowohl als Kind als auch als Erwachsene habe ich die Formen untersucht und mich ihnen verbunden gefühlt und sie als ganz grundlegenden Faktor für Körper und Geist angesehen. Dreiecke, Vierecke, Kreise und andere geometrische Formen sind in ihrem logischen Aufbau eine Sprache oder eine Familie, die kraft einander ihre Existenz gegenseitig rechtfertigen oder erklären. Sie sind gleichzeitig jedes für sich Symbole für ganz verschiedene Phänomene und ein wiedererkennbarer Körper, der etwas Besonderes birgt. Die geometrischen Formen haben einen Umriss, zu dem man als Menschenkörper auch in einem physischen Bezug steht. Ich habe mit Textilien genauso lange gearbeitet, wie ich gezeichnet habe, seit der Kindheit eigentlich, und es war immer die gleiche Lust, die Sachen zu zerlegen, ob es nun Stoffballen mit Stoff als Meterware waren, abgetragene Jeans oder eine Zeichnung, wo die Striche durch ein undefiniertes Motiv aufgelöst wurden. Ich war mir selbst dessen nicht bewusst, aber als ich mit 18 Jahren auf eine Zeichenschule ging und hörte, dass die anderen bloß eine Menge Striche sahen, wo ich deutlich eine zusammenhängende Zeichnung sah, begannen mir meine Weise, die Dinge zu betrachten, und mein besonderes Interesse für das Aufgelöste und Offene bewusst zu werden.«